
Flughäfen sind nicht nur technische Infrastrukturen oder kompetitive Umschlagsräume der globalen Warenzirkulation (Addie, 2018). An ihnen kristallisieren und zeigen sich auch verschiedene ökologische und gesellschaftliche Phänomene. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die Auseinandersetzung verschiedener Akteur*innen mit der Rolle der Flugindustrie als Katalysator der Klimakrise (Luhmann 2010; Baer 2018). Zugleich bieten die wenig betretenen oder befahrenen Zwischenräume der Rollfelder seltenen Pflanzenarten wie Orchideen und Kleinvögeln einen Lebensraum (Güttler 2023). Für die Industrie und die Anwohner*innen der Flughäfen ist Fluglärm allgegenwärtig. An Flughäfen treffen gegensätzliche Interessen aufeinander, die sich thematisch in Konflikten um Lärm- und Umweltschutz, die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie einem allgemeinen Standortvorteil ganzer Regionen widerspiegeln (Stephan 2024). Auch nationale Grenzen werden über die Grenzkontrollen einerseits und Abschiebeeinrichtungen sowie (umkämpfte) Abschiebeflüge an Flughäfen gesellschaftlich ausgehandelt und sichtbar. Unsichtbar bleiben dagegen häufig die Arbeitsbedingungen der Menschen, die die Reinigung, Wartung, Sicherheit und Abfertigung der immer noch schnellsten zivilen Fortbewegungsmittel ermöglichen. Dazu gehören Mechaniker*innen, Reinigungskräfte, Beschäftigte im Check-in und Gepäckverlader*innen, die Flughafenfeuerwehr, die Sicherheitskräfte und die Sozialassistent*innen, welche die Passagier*innen mit verschiedenen Einschränkungen sicher ins Flugzeug geleiten. Im Vergleich zu Flugbegleiter*innen und Pilot*innen scheint die Rolle des oftmals befristet und/oder teilzeitbeschäftigten Bodenpersonals beim Gelingen eines Fluges unsichtbar. Doch die Corona-Pandemie hat alle Arbeitenden in der Flugindustrie getroffen und sie gleichsam sichtbar werden lassen. Während Flughäfen zum Drehkreuz und Katalysator des Virus wurden, waren die Beschäftigten dieser Arbeitsorte der potenziell lebensgefährlichen Erkrankung zunächst schutzlos ausgesetzt (Cufré & Engelhardt, 2024). Zudem wurden Flughäfen von einem Tag auf den anderen auf unbestimmte Zeit geschlossen. Jobverlust und Unterbrechungen in der Erwerbsbiografie waren für viele die Folge. Im Sommer 2022 erholte sich die Luftfahrt weltweit und strebte ein vorpandemisches Umsatzniveau an (IATA 2024). Doch plötzlich fehlte das Personal: Es streikte oder meldete sich krank – auch, weil für viele von ihnen die Pandemie noch längst nicht vorbei war. Tausende Flüge wurden gestrichen (vgl. Engelhardt 2024).
In unserem Lehrforschungsprojekt setzen wir uns mit verschiedenen Fragen zu Arbeit, Umwelt, sozialer Reproduktion, Geschlecht und Konflikten rund um Flughäfen auseinander. Dabei untersuchen wir unter anderem die Aktualität von Hochschilds (2006) Analyse der emotionalen Arbeit als Vermarktung und Entfremdung von Gefühlen im Arbeitsprozess. Ihre Forschung basiert vorwiegend auf Beobachtungen und Interviews mit überwiegend weiblichen Flugbegleiter*innen aus den 1980er- und 1990er-Jahren. Ihre Überlegungen eignen sich daher ideal, um zu untersuchen, wie sich die Anforderungen an emotionale Arbeit angesichts flexibilisierter Low-Cost-Airlines wie Ryanair und EasyJet in Zeiten von Pandemie, Klimakrise und Massentourismus verändert haben. Des Weiteren werfen die Streiks Fragen zum Streikrecht und zu den Machtressourcen der Streikenden an Flughäfen auf. Im Rahmen des Lehrforschungsprojekts werden zudem die Arbeits(un)zufriedenheit und die Arbeitsbiografien am Boden und im Cockpit untersucht.
Das Seminar kooperiert dabei mit António Louçã und Luís Trinidade von der FCSH in Lissabon (Portugal). Dadurch ist es möglich, sich in diesem Lehrforschungsseminar mit den Arbeitsbedingungen, der emotionalen Arbeit und der Arbeitszufriedenheit von Beschäftigten an einem portugiesischen Flughafen auseinanderzusetzen. Zugleich steht das Lehrforschungsprojekt mit António Louçã im Austausch über die biografische Erforschung von Flughafenbeschäftigten und ihrer Rolle während der Portugiesischen Revolution sowie über ihre Arbeitsbedingungen zu dieser Zeit.
Im Rahmen des Lehrforschungsprojektes werden zum einen die Poster der Studierenden präsentiert. Andererseits wird eine Ausgabe der studentischen Veröffentlichungsreihe „SoWi Pro” erscheinen, in der die Forschungsberichte zu den Themenfeldern emotionale Arbeit, Arbeitszufriedenheit, Streiks und Konflikte und Regulierung der Berufe veröffentlicht werden. Zusätzlich wird dieses Heft um einen Forschungsbericht zu den historisch-autobiografischen Interviews mit portugiesischen Flughafenbeschäftigten ergänzt.
Literatur
Addie, Jean-Paul (2018): Flying high (in the competitive sky): conceptualizing the role of airports in global city-regions through 'aero-regionalism'. In: Xuefei Ren und Roger Keil (Hg.): The global cities reader. Second edition. London, New York: Routledge, Taylor & Francis Group (The Routledge Urban Reader Series), S. 176-182.
Baer, Hans A. (2018): Grappling with flying as a driver to climate change: Strategies for critical scholars seeking to contribute to a socio‐ecological revolution. In: Australian J of Anthropology 29 (3), S. 298-315. DOI: 10.1111/taja.12291 .
Cufré, Sara; Engelhardt, Anne (2024): Conflicts up in the air: cabin crew resistance in Argentina and Portugal through the lens of the body. In: Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung 13, S. 101-122.
Engelhardt, Anne (2024): Turbulenzen in der Flugindustrie. In: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft 54 (214), S. 53-74. DOI: 10.32387/prokla.v54i214.2102 .
Güttler, Nils (2023): Nach der Natur. Umwelt und Geschichte am Frankfurter Flughafen. Göttingen: Wallstein Verlag (Historische Wissensforschung, Band 24).
Hochschild, Arlie Russell (2006): Das gekaufte Herz. Die Kommerzialisierung der Gefühle. Frankfurt/Main, New York: Campus Verlag.
Luhmann, Hans-Jochen (2010): Der (Flug-)Verkehr nimmt zu - auch in Zeiten des Klimawandels: Wie kommt es zu diesem Paradox? In: Leviathan 38 (4), S. 475-488. DOI: 10.1007/s11578-010-0099-1 .
Stephan, Hans-Christian (2024). A Never-Sleeping Region Awakes: The Social Conflicts and Power Resources of the Logistical Restructuring in the Leipzig Region. In: Moving the Social 73.1 (2024), 133-160.